Geschichte
Ein Streifzug durch die Geschichte der Liberalen in Bad Kissingen
Auszug aus dem Vortrag von Adelheid Zimmermann am Freitag, 1. Oktober 1993, anlässlich des Festakts „90 Jahre Liberale in Bad Kissingen“ einschließlich einiger Ergänzungen.
Im November 1902 kündigte der Magistratsrat Philipp Schoeller mit dem Aufruf:
„Scharet euch um uns! Tretet unserem Vereine bei!“
in der Saale-Zeitung der Bad Kissinger Öffentlichkeit die Existenz eines Liberalen Vereins an.
Dieser erste Aufruf umriss das Ziel des Vereins:
„Er will die Liebe zu König und Vaterland, zu Kaiser und Reich pflegen, den deutschen Gedanken in Wort und Schrift fördern und den liberalen Grundsätzen Verbreitung und Berücksichtigung sichern; er will also sein: ein Sammelpunkt königstreuer Männer, eine Pflegstätte des nationalen Gedankens und ein Mittel zur Förderung vernünftigen Fortschritts.“
Daneben war die Achtung der religiösen Überzeugung anderer, die Stellung des Vaterlandes über die Partei sowie die Stellung des allgemeinen Wohls über Sonderinteressen als Hauptrichtpunkte des Bestrebens ausdrücklich benannt.
Es ist der wunderschöne deutsche Ausdruck aus dem Beginn des letzten Jahrhunderts, mit dem in gesetzten Worten um Mitbürger und Freunde geworben wurde. In dem ersten Aufruf war deshalb auch dreimal von der Liebe und Treue zu König und Vaterland sowie Kaiser und Reich die Rede. Diese Betonung war wichtig, denn die Liberalen galten als vaterlandslose Gesellen, als Hohn auf den Zeitgeist und wurden als Feinde der göttlichen Weltordnung angesehen, wie etwa in Heinrich Manns „Der Untertan“.
Die Namen von einigen der ersten Mitglieder des Liberalen Vereins sind aufgeführt in der Kandidatenliste für die Landtagswahl 1905:
- Adam Gillich, Bauführer
- Ludwig Hitzlsberger, Baumeister
- Michael Renninger, Baumeister
- Julius Reuß, Schreinermeister
- Dr. Lorenz Scherpf, Königlicher Hofrat
- Philipp Schoeller, Magistratsrat
- Dr. Siegfried Wahle, prakt. Arzt
Ein Kuriosum ist die alphabetische Reihenfolge. Es ist ja erstaunlich, wie viel Wahlmathematik und Werbestrategien heute in die Besetzung der vorderen Listenplätze gesteckt werden. Magistratsrat Philipp Schoeller selbst, der erste Vorsitzende, war zweiter Bürgermeister von Bad Kissingen und Vorsitzender des Kurvereins „Königliches Bad Kissingen“, also ein geachteter und bekannter Mann.
Aus den Versammlungsprotokollen und Wahlversammlungen, die in der Saale-Zeitung nachzulesen sind, spricht eine hohe Motivation der Mitglieder des Liberalen Vereins. Es gab ja auch viele Ansatzpunkte für eine liberalere Gesellschaft in der Zeit der Jahrhundertwende:
- Der Reichskanzler wurde vom Kaiser ernannt, unabhängig von der Zusammensetzung des Reichstages.
- Das Wahlrecht war von der Zahlung von Steuern abhängig.
- Frauen durften nicht wählen.
- Die Wahlzettel wurden in den Wahllokalen der jeweiligen Parteien abgeholt und dort wieder abgegeben.
- Der Adel besetzte alle hohen Posten in Militär, diplomatischem Dienst und der Verwaltung.
So forderte der Liberale Verein im Wahlprogramm zur Landtagswahl 1905 in einer Anzeige in der Kissinger Saale-Zeitung:
- Schaffung eines allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts,
- Gleichberechtigung aller Konfessionen, jedoch Bekämpfung des Missbrauchs der Religion zu politischen Zwecken, (> eine Spitze gegen das Zentrum!)
- Tatkräftige Unterstützung des Handels, Handwerks, der Industrie und der Landwirtschaft,
- Energisches Eintreten für die Bedürfnisse der Arbeiter, (> ein Punkt, den man den Liberalen nie abgenommen hat, der ihnen aber immer sehr am Herzen gelegen hat und liegt, um die Gleichbehandlung aller Schichten zu erreichen)
- Gerechte Verteilung der Steuerlast und Reform unserer veralteten gemeindlichen Besteuerung (> dieser Punkt richtet sich gegen die Gewerbesteuer, ein Kampf, den die FDP noch heute führt)
Zu den genannten Vereinszielen kamen später noch hinzu:
- Gesteigerte Volksbildung
- Unentgeltliche Rechtsauskunft
- Verhältniswahlrecht
- Handel mit dem Ausland, um unsere enorm gestiegene Bevölkerung in Deutschland ernähren zu können
- Forderung nach Einführung der Erbschaftssteuer als einzig gerechter Steuer
- In allen Zweigen sollte der richtige Mann am richtigen Platz eingesetzt werden, gleichviel woher er komme und welcher Gesinnung er sei.
Manche dieser Forderungen leben noch heute, andere haben im Rückblick eine bittere geschichtliche Erfahrung beinhaltet. Erst 1992 hat das Bayerische Verfassungsgericht einer Klage der Bayrischen FDP stattgegeben, dass das Verhältniswahlrecht bayernweit für die Landtagswahlen anzuwenden sei. Der Kampf um das Verhältniswahlrecht ist politischer Minderheitenschutz gegen Mehrheitenmacht und währt nun ebenfalls schon seine mehr als 100 Jahre.
Die Befürchtung, dass Deutschland seine Bevölkerung nicht ernähren kann, mündete aus der Vorstellung vom „Volk ohne Raum“ in den Eroberungskrieg des Zweiten Weltkrieges. Nicht die liberale Vorstellung vom friedlichen Handel der Völker, der allen nutzt, wurde Wirklichkeit der Geschichte, sondern der uralte männliche Mythos vom Erobern und Besetzen. Dass man niemals besitzt, was man besetzt, gehört für die Deutschen des 20. und 21. Jahrhunderts zur zweimaligen Erfahrung: Die Besetzungen durch die Nazis hatten sieben Jahre Bestand, die der Kommunisten 44 Jahre.
Der richtige Mann am richtigen Platz – diese Forderung war 1905 natürlich eine Spitze gegen den Adel sowohl wie gegen das Zentrum: Weder Herkunft noch Bekenntnis sollten ausschlaggebend für die Besetzung öffentlicher Stellen sein.
Denkt man allerdings an die Parteienkritik heutiger Tage, dass viele öffentliche Posten nach Parteizugehörigkeit vergeben werden – bis hin zur Besetzung des Bundesgerichtshofes – dann wird deutlich, dass Machtstrukturen immer die Tendenz haben, sich selbst zu verstärken. Parteien in die Schranken zu verweisen, gehört zu den Bürgerpflichten für einen funktionierenden, gerechten und unbestechlichen Staat. Die Besetzung nach Parteiproporz entspricht der Besetzung der Ämter nach sozialer Zugehörigkeit (Adel, Militär) früher. Ein altes Problem in einem neuen Gewand.
Nun, die Liberalen in Bad Kissingen, hoch motiviert wie sie waren, hatten Erfolg:
Ihr Verein wuchs von 40 Gründungsmitgliedern am 04.Februar 1902 auf fast 200 Mitglieder im selben Jahr. 1904 hatte der Liberale Verein 350 Mitglieder, eine Zahl, die sie bis zum Aufgehen des Liberalen Vereins im Deutsch Demokratischen Verein 1920 hielten. Zu den Versammlungen der Liberalen kamen jeweils 100 bis 200 Zuhörer. Ihre Referenten hielten „lichtvolle Vorträge“ oder „gehaltvolle Referate“, und sie erhielten „stürmischen Beifall“. So ist es noch heute nachzulesen im Archiv der Saale-Zeitung.
Aus den Mitgliedsbeiträgen errichtete man 1907 im Preußischen Hof ein Lesezimmer, in dem Zeitungen aller Parteirichtungen auslagen. Es war die Zeit, in der sich die Familien alle zwei Wochen gut anzogen, gemeinsam ins Café gingen, um Zeitung zu lesen. Die Liberalen wollten im Preußischen Hof auch eine Bibliothek einrichten. Wir haben allerdings keine Nachricht, ob das auch geschehen ist.
So konnte der politische Erfolg nicht ausbleiben. Die Liberalen waren seit ihrem Auftreten in Bad Kissingen bis etwa 1920 die stärkste politische Kraft.
Bis auf eine Ausnahme 1911, als sich die Liberalen Bad Kissingen mit 48:52 geschlagen geben mussten, waren sie Sieger der Gemeindewahlen und der Nachwahlen. 1908 stellten die Liberalen gar die einzige Liste zur Gemeindewahl. Aus heutiger Sicht nahezu unglaublich.
Diese Siege waren umso erstaunlicher als sich die Liberalen als Gegenkraft zu einer vom Katholizismus geprägten, geschlossenen Gesellschaft verstanden, die durch die Zentrums-Partei vertreten wurde. Die Liberalen wollten bewusst ein offenes Gegengewicht für alle Schichten der Gesellschaft setzen. Auf ihren Listen standen Kandidaten aller Schichten und Bekenntnisse. Dem beständigen Sieg der Liberalen bei den Kissinger Gemeindewahlen stand der Sieg des Zentrums bei den Landtagswahlen gegenüber. Aber da trat auch der Lokalmatador von Bad Kissingen, Bürgermeister Theobald von Fuchs, für das Zentrum an und erreichte, dass er in den Landtag einzog. Bei den Landtagswahlen 1907 und 1912 erhielten die Liberalen jeweils das stärkste Stimmenergebnis: 1907 mit knapp über 50% – das waren noch Zeiten für Liberale! – und 1912 mit 43%. 1912 erhielten erstmals die Sozialdemokraten das sehr gute Stimmenergebnis von 22% in Bad Kissingen.
Zu den Versammlungen der Liberalen erschienen auch Mitglieder anderer Parteien. So berichtet die Saale-Zeitung über eine Wahlversammlung 1907 über die Anwesenheit des Stadtkaplans, der bemerkte habe: „Diese Rede hätte auch beim Zentrum gehalten werden können.“ Die Unterscheidbarkeit zu den Konservativen – ein ewiges Problem der Liberalen. Das Erstaunliche der Zeitungsmeldung liegt darin, dass 1907 ein offizieller katholischer Geistlicher es gewagt hat, eine Veranstaltung der Liberalen zu besuchen. (Im Jahr 1990 nahm der Stadtdiakon von Bad Brückenau an einer Wahlveranstaltung der FDP teil. Er wurde daraufhin von einem Pfarrmitglied angesprochen, ob er dies schon gebeichtet hätte!)
Das Verhältnis zu den Sozialdemokraten wurde zwiespältig genannt. Es reichte von der Akzeptanz als Koalitionspartner bis zu totaler Ablehnung.
„Durch eine gesunde Sozialpolitik muss man den Sozialdemokraten das Wasser abgraben.“
So der Reichsparteitag der Liberalen 1912 in Berlin. Die Zusammenarbeit zwischen Bauernbund und Liberalen war legendär. Es gab viele gemeinsame Kandidaturen für Landtag und Reichstag. Hochburgen des Bauernbundes im Landkreis waren Maßbach, Geroda und Bad Brückenau. Der erste Weltkrieg bedeutete kommunalpolitisch eine Zäsur. Es gibt nahezu keine parteipolitischen Nachrichten aus dieser Zeit in Bad Kissingen. Der Magistrat/das Gemeindekollegium mussten sich um die Verteilung der Not kümmern. Brot und Getreide waren seit Anfang des Krieges bewirtschaftet.
Die große Stunde der Politik schlug am 9. November 1918 mit der Ausrufung der Republik. In Bad Kissingen wie in anderen Städten des Deutschen Reiches brandeten die Wellen der Räterepublik. Ein Arbeiter-, Bauern– und Soldaten-Rat installierte sich hier am 11.November 1918. Die Bürgermeister der Umgebung erklärten sich mit dem Inhalt des Aufrufs der Räte ebenso einverstanden, wie der Regierungspräsident seiner Verwaltung empfahl, den Räten Folge zu leisten. Dieselbe Anweisung kam aus den Münchner Ministerien. Deutlich erhob dagegen der Präsident des Landtags, Bad Kissingens ehemaliger Bürgermeister, Theobald von Fuchs, seine Stimme: Der Landtag sei nicht aufgelöst, weder Ministerien noch Räte hätten etwas zu bestimmen.
In Bad Kissingen nahm stets eine Abordnung des Arbeiter-Bauern- und Soldaten-Rates an den Sitzungen des Magistrats und Kollegiums teil. Eine rechtlich sehr verworrene Situation, die jedem Liberalen gewaltig auf den Magen schlagen musste.
Dass der Arbeiter-, Bauern- und Soldaten-Rat keineswegs im Sinne einer politisch höchst interessierten Kissinger Öffentlichkeit war, belegt eine Anzeige in der Saale-Zeitung am 29. November 1918. 62 Kissinger Männer unterschrieben mit ihrem Namen einen Aufruf, in dem sie sich gegen einseitige Klassenherrschaft, Diktatur und Bolschewismus wandten. Die Unterzeichner verstanden ihr Tun als Bekenntnis, denn wörtlich heißt es:
„In dieser ernsten, von widerstrebenden Meinungen durchfluteten Zeit wollen wir laut und offen bekennen: Wir wollen die baldigen Wahlen zur Nationalversammlung…….Ohne sie keine Ruhe, keine Ordnung, keine Gesetzmäßigkeit, kein Brot.“
Die Unterzeichner riefen für 2 Tage später in den Großen Saal des Regentenbaus zur Gründung einer Demokratischen Vereinigung. Der Liberale Verein rief seine Mitglieder zum vollständigen Erscheinen auf – er sollte zwei Jahre später in dieser Vereinigung aufgehen.
Am 1. Dezember 1918 platzte dann der Regentenbau aus allen Nähten: Mehr als 1000 –T a u s e n d– Kissinger Männer und Frauen erschienen. Man brachte seine Furcht vor der Gewalt der Straße, der Diktatur und der Rechtlosigkeit zum Ausdruck. Die Demokratische Vereinigung wurde gegründet, die typisch liberal, Mitglieder aller Parteien aufnehmen sollte und deren Ziel es war, die Wahl zur Nationalversammlung zu befördern. In Kissinger Geschäften bzw. bei den folgenden Bürgern lagen die Listen zur Einschreibung in die Demokratische Vereinigung aus. Es waren dies:
- Josef Braun, Bahnoberportier,
- Eugen Hahn, Kolonialwaren,
- Gustav Kracht, Drogerie,
- Dr. Ernst, Apotheke,
- Josef Mehler, Frisör,
- Georg Pabst, Kolonialwaren,
- Karl Renner, Juwelier,
- Otto Schachenmayer, Saale-Zeitung,
- Meißner-Schmirdörfer, Eisenwaren,
- Wilhelm Vogt, Tapetenhandlung,
- Richard Fritz, Weigands Weinstube,
- Michael Ziegler, Kolonialwaren.
Aus der Überparteilichkeit des Demokratischen Vereins wurde dann nichts. Im Gefolge dieser demokratischen Begeisterung in Bad Kissingen kommt es zu Austritten aus dem Arbeiter-, Bauern- und Soldaten-Rat, und der Bürgermeister Bauch tritt zurück.
Die Mitgliederversammlung des Liberalen Vereins hatte gut 2 Wochen nach der Gründung des Demokratischen Vereins zu einer Mitgliederversammlung eingeladen mit dem Thema „Anschluß an eine demokratische Partei“. Dieser Anschluss wurde dann aber erst am 30.März 1920 im Wahlers Bräu vollzogen. Die Mitglieder des Liberalen Vereins waren meist Mitglieder des Demokratischen Vereins und man verstand sich als Ortsgruppe der Deutsch Demokratischen Partei.
Der Deutsch-Demokratische Verein (=Demokratischer Verein) gründete am 22.12.1918 eine Frauengruppe – und das knapp 4 Wochen nach seiner Gründung. Das Datum 2 Tage vor Weihnachten zeigt, wie eilig man es damit hatte: Seit dem 12. November 1918 waren Frauen den Männern als Wahlbürger gleichgestellt. Es galt seitdem das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht. Die Beförderung der Frauen in der Politik war bislang in Kissingen kein liberales Ruhmesblatt. Erstmals waren drei Frauen im Vorstand des Deutsch Demokratischen Vereins. Frauen hatten bis dato in Bad Kissingen politisch keine Rolle gespielt, weder als Objekt noch als Subjekt politischer Betätigung. 1908 waren erstmals Frauen zur Versammlung des Liberalen Vereins eingeladen gewesen. Das Thema war entsprechend politisch: „Die Entstehung des Weltalls“.
Die Deutsche Demokratische Partei lädt zum 30.12.1918 in den Regentenbau zum Thema „Die Frau in der Politik“. Es bestand zu dieser Zeit eine Begriffsverwirrung zwischen Liberalem Verein, Deutsch Demokratischem Verein und Deutsch Demokratischer Partei. Die Grenzen waren fließend und schlossen sich erst mit der Auflösung des Liberalen Vereins.
Derweilen gab es in Bad Kissingen noch immer die Räte. In der Saale-Zeitung wurden dieser als Arbeiter-, Bauern- und Garnisons-Rat benannt, wohl der Nachfolger des Arbeiter-, Bauern- und Soldaten-Rates sowie des Arbeiterrates. Es ist nicht ersichtlich, ob beide identisch waren, aber wahrscheinlich. So sprach sich Bürgermeister Dr. Pollwein zu seiner Amtseinführung am 10. März 1919 für eine Zusammenarbeit mit dem Arbeiterrat aus, und der Deutsch Demokratische Verein lädt am 13.03.1919 ein, an der Versammlung des Arbeiterrates teilzunehmen. Am 13.04.1919 stürzt in München die Räterepublik. In der Zeitung gibt es nur eine indirekte Kommentierung: Die Sozialdemokraten laden zur Versammlung mit dem Thema „Stellungnahme zur Räterepublik“.
In Bad Kissingen jedoch lädt am 26.04.1919 der Arbeiter-, Bauern- und Garnisons-Rat in den Rathaussaal zur Versammlung. München ist offensichtlich weit. Ende April und damit zeitgleich gibt es in der Saale-Zeitung einen Aufruf zur Gründung von Volkswehren durch den rechtmäßigen Landtag. Der Aufruf ist von vielen Deutsch Demokraten unterschrieben. Am 20.05.1919 lädt die Volkswehr Bad Kissingen zu einem Generalappell mit Waffen und Munition. Offensichtlich ging es zu dieser Zeit in Bad Kissingen noch hoch her. Der ganze Rätespuk hat erst ein Ende mit dem Antritt des neuen Stadtrats in Bad Kissingen am 26.06.1919. Die gewählten Stadträte waren vollzählig erschienen. Aber es waren auch 3 Arbeiterräte anwesend. Das Gremium beschloss, eine Anfrage an die Staatsregierung zu stellen, ob die Arbeiterräte weiterhin beim Stadtrat zulässig seien. Daraufhin hört man in der Zeitung nie mehr etwas über die Arbeiterräte.
Der Wahlkampf zum Stadtrat in Bad Kissingen im Jahre 1919, der erste nach dem Weltkrieg, zeigt ein verändertes Gesicht. Erstmals gibt es einen langen Wahlkampf und 10 Tage Zeitungsschlacht. „Keine Parteipolitk im Rathaus“ verlangen erstmals anonyme Anzeigen. Es war die Geburtsstunde der Parteilosen. Drei parteilose Interessengruppen traten 1919 zur Gemeinderatswahl an: Die Kriegsbeschädigten, die Kurhausbesitzer, das Handelsgewerbe. 1919 errangen diese Interessengruppen 15% der Mandate, 1924 bereits 50%. Kein Wunder, dass die Liberalen das spürten: 1919 erreichen sie zwar noch 30% der Mandate, 1924 und 1929 waren es dann nur noch 10%.
Seit 1919 waren für die Deutsch-Demokraten die Herren Karl Gayde und Nathan Bretzfelder im Stadtrat. Karl Gayde starb im Okober 1928. Ihm folgte sein Sohn, Karl Gayde, junior nach. Nathan Bretzfelder und Karl Gayde jun. hielten ihre Ämter über das Jahr 1933 hinaus. Von Herrn Karl Gayde ist uns durch seine Schwiegertochter Eugenie Gayde das Verbleiben im Stadtrat bis zu seiner Verhaftung im Jahre 1942 verbürgt.
Bei den Landtagswahlen konnten die Liberalen in Bad Kissingen nochmals 37% der Stimmen auf sich vereinigen. Das Umland wählte jedoch ganz anders: Liberale 5% und Bayerische Volkspartei 72%. Und das spiegelt die Situation im Stadt- und Landkreis von Bad Kissingen bis 1996 wider. Die Reichstagwahl 1919 zeigte die Liberalen in Bad Kissingen verteilt auf 2 Parteien noch mit 36%, 1924 mit 16%, 1928 nochmals mit 21%, 1933 zur letzten freien Wahl nur noch mit 2%. Die NSDAP errang 55%. Damit war das Schicksal der Demokratie in Deutschland vorerst besiegelt.
In der Zwischenkriegszeit veränderte sich der Umgang der Parteien untereinander. Während der Wahlkampfphasen tauchen anonyme Anzeigen auf, an den Wänden anonyme Anschläge. Gegen die Liberalen, die ja Anfeindungen besonders ausgesetzt waren, heißt es zum Beispiel in der Kommunalwahl 1924 anonym:
„Wähler gesucht
Von Wahlkandidat der DDP mit mehr als 20-jähriger Tätigkeit in blauem Dunst
Unbestritten in großen Fragen und kleinlichem Geist
Hervorragend in rein egoistischer Interessenpolitk
Erfahrener Referent der berechtigten Bürgerinteressen
Auf Urteilsfähigkeit der Wähler wird kein Wert gelegt.“
Ob diese Kritik berechtigt oder unberechtigt war, wissen wir nicht. Die Anonymität allerdings gibt Anlass zum Nachdenken.
Am 1. März 1920 ruft der Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens dazu auf, anonyme Verleumdungen auf Anschlägen der Stadt einzustellen. Der Stadtrat schließt sich dem Aufruf an.1930 gab es Verleumdungen gegen den Stadtrat Goldstein (Bürgerblock), der dann sehr allein dastand und sich 1933 das Leben nahm. Am 9. Januar 1923 ruft die NSDAP zur Gründungsversammlung auf. Am 20. Oktober 1923 gibt es einen Abmarsch nach Hammelburg mit dem Hinweis, dass unentschuldigtes Fernbleiben bestraft wird. Zur selben Zeit, am 13.01.1923, ruft die Christlich Soziale Partei zu einer Versammlung über „Die jüdische Frage“.
1930 erhält der Redner der NSDAP „tosenden Beifall, wie er noch kaum einem Redner zuteil wurde“, als er die Parteien mit einem #8222;morschen Baum“ verglich, „der umfällt, wenn nur der leiseste Windhauch ihn berührt“.
Die Menschen hatten wohl den Verfall der politischen Moral seit der Mitte der zwanziger Jahre bemerkt. Dass aber die Nazis hier auf einen Zug aufsprangen, den sie selber angeheizt hatten, das hatte der Kissinger Redner natürlich verschwiegen.
Am 26. Januar 1927 laden die Deutsch Demokraten, politisch kennzeichnend für die Stimmung, zu einer Versammlung mit dem Thema ein: „Heraus aus der partei-politischen Müdigkeit zu neuen politischen Wegen in Bayern und Reich“.
Am 2. Dezember 1929 wirbt die DDP für die Stadtratswahl mit der Anzeige:
Wählt die Liste Gayde – Bretzfelder
- Äußerste Sparsamkeit
- Abbau des Strompreises
- Keine neuen Projekte ohne Gewährleistung der Rentabilität
- Zur Hebung des Fremdenverkehrs Strandbad und Bergbahn“
Ab Januar 1930 findet sich keine Anzeige der Deutsch Demokraten mehr in der Saale-Zeitung. Ab November 1931 muss man aus der Anzeigenaktivität der Nationalsozialisten in der Zeitung schließen, dass sie bereits die stärkste politische Kraft in Bad Kissingen sind. Am 13. Januar 1933 waren im Stadtrat von 22 Stadträten nur 9 erschienen. Man war beschlussunfähig. Während des Dritten Reiches verschwinden die Parteien aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit, während die Parteimitglieder, auch die Liberalen, untereinander Verbindung halten.
1946 – 2011
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten die Liberalen nie mehr an die große Tradition ihres Anfangs in Bad Kissingen anknüpfen. Bei Stimmenergebnissen zwischen 2% und 10% fehlt die großartige Motivation, die 1902 und 1918 hinter dem Bedürfnis nach Mitwirkung stand.
Die Freie Demokratische Partei (FDP) als Nachfolger der Deutsch Demokraten stellten in Bad Kissingen
1956 – 1978 | Stadtrat Rudolf Kracht |
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1978 – 1995 | Stadtrat Dr. Hans-Joachim Flaßhoff |
1995 – 1996 | Stadtrat Peter Venohr |
1996 – 2008 | kein Stadtrat |
2008 – 2014 | Stadtrat Dr. Jens Bergermann |
2014 – 2020 | Stadtrat Dr. Hans-Joachim Hofstetter |
Den FDP Ortsverband Bad Kissingen führten
1978 – 1983 | Manfred Kessler, Bad Kissingen |
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1984 – 1992 | Willi Führer, Bad Kissingen |
1992 – 1996 | Peter Venohr, Bad Kissingen |
1996 – 2000 (Auflösung) |
Dr. Rüdiger Leimbeck, Bad Kissingen |
Den im Jahr 1977 gegründeten „FDP Kreisverband Bad Kissingen“ führten
1977 – 1992 | Arthur Stollberger, Nüdlingen |
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1992 – 2001 | Adelheid Zimmermann, Bad Brückenau |
2001 – 2003 | Christian Ziegler, Nüdlingen |
2003 – 2008 | Dr. Giselher Wall, Bad Kissingen |
2008 – 2010 | Dr. Heiko Weidenthaler, Bad Kissingen |
2010 – 2019 | Dr. Hans-Joachim Hofstetter, Bad Kissingen |
2019 – 2020 | Anna Viktoria Kaiser, Riedenberg |
2020 – 2024 | Linus Rieß, Hammelburg |
seit 2024 | Max Hümmer, Geroda & Oliver Zimmer, Münnerstadt |